Kommentar zum Internationalen Frauentag: Das lange Leiden der Texilarbeiter*innen

Nadije Memedi

Der 8. März ist der Tag im Jahr, an dem wir uns an den Kampf um die Frauenrechte erinnern, dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass dieser Kampf weltweit noch immer andauert. Historisch geht der Internationale Frauentag auf Arbeitskämpfe amerikanischer Textilarbeiterinnen zurück. Und noch heute kämpfen Frauen in den Zuliefererbetrieben der Bekleidungsindustrie gegen Hungerlöhne und Ausbeutung – wie aktuell in Bangladesch.

Schauen wir an uns herunter, dann tragen wir mindestens vier Kleidungsstücke, von denen mindestens drei in Asien hergestellt wurden, und auch deshalb ist der heutige Kampf der Näher*innen auch unser Kampf.

Obwohl wir jeden Tag des Jahres beharrlich auf die Gleichstellung der Geschlechter bestehen müssen, ist der 8. März wichtig, damit wir uns erinnern, warum wir diesen Tag feiern, und verstehen, auf welche gesellschaftlichen Missstände er auch im Jahr 2019 noch hinweist.

Der Internationale Frauentag, am dem wir jedes Jahr die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Errungenschaften von uns Frauen feiern, geht auf die Protestbewegungen zu Beginn des 20. Jh. zurück, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne richteten. Vorreiterinnen in diesem Arbeitskampf waren die mutigen amerikanischen Textilarbeiterinnen, die am 8.3.1857 in New York öffentlich gegen ihre Situation und Stellung in den Fabriken demonstrierten. Trotz oder gerade wegen der Auflösung ihres Protests durch die Polizei gründeten sie einige Monate später eine Gewerkschaft.

Vor diesem Hintergrund verwundert es also nicht, dass neben anderen wichtigen historischen Ereignissen der internationale Frauentag auch an den verheerenden Brand in der New Yorker Textilfabrik 1911 erinnern soll, bei dem über 140 Arbeiterinnen starben. Auch heute noch herrschen in der Textilindustrie dieselben Zustände, gegen die sich 1857 Frauen zum ersten Mal öffentlich zur Wehr setzten, doch die Fabriken stehen nicht mehr im Amerika, sondern in China, Pakistan, Indien oder Bangladesch. Besonders in den letztgenannten Ländern werden Textilarbeiterinnen Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz.

Generell ist die Textilbranche bekannt für Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit, Armutslöhne, mangelhaften Brand- und Gebäudeschutz, Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen – eine globale Lieferkette, die dem günstigsten Preis alles unterordnet.

Das Monster in unserem Kleiderschrank

2012 brannte es beim zertifizierten, pakistanischen KIK Zulieferer Ali Enterprises, über 250 Arbeiter*innen wurden getötet, viele schwerverletzt.

2013 stürzte in Bangladesch die Texilfabrik Rana Plaza ein und begrub 1134 Arbeiter*innen, über 2000 konnten zum Teil schwer verletzt aus den Ruinen geborgen werden. Nachweislich ließen die deutschen Konzerne KIK, Adler und NKD in der Fabrik produzieren sowie internationale Labels wie Mango, Benetton und C&A.

2014 fanden Kundinnen Primarks eingenähte Hilferufe in ihrer Kleidung, die auf Arbeitsrechtsverletzungen und Ausbeuterei aufmerksam machen sollten. Eine Kundin fand in einer Hosentasche eine Notiz auf Chinesisch: SOS! Primark wies die Vorwürfe zurück.

2016 deckt eine gewerkschaftliche Studie über das Ausbeutungssystem in südindischen Spinnereien auf, dass junge Frauen (15-22 Jahre alt) aus der Kaste der „Unberührbaren“ dort wie Sklavinnen gehalten werden: sie bekommen keine Arbeitsverträge, leben in betriebseigenen Unterkünften, die sie nicht verlassen dürfen. Die Art und Weise, wie diese jungen Frauen an die Fabriken vermittelt werden, wird von Experten als Menschenhandel eingestuft. Als Kunden gelten C&A, Primark sowie Fabriken, die u.a. für H&M weiterverarbeiten.

2017 zeichnete sich in Bangladesch erneut ein Fabrikeinsturz ab, zum Glück wurden niemand verletzt als Teile eines 15-stöckigen Gebäudes nachgaben. Nur durch die schnelle Reaktion der Arbeiter*innen und Gewerkschaften, die auf Evakuierung und Schließung drängten, konnte eine fatale Katastrophe wie Rana Plaza verhindert werden. Im Gebäude wurde u.a für H&M, C&A, Zara, Mango, GAP, Levis, Jack & Jones und Abercrombie & Fitch produziert.

2018 deckten Rechercheteams der Clean Clothes Campaign auf, dass Textilarbeiter*innen in den Zulieferfabriken - u.a. in Bulgarien - des Modelabels H&M weniger als die Hälfte des Existenzlohns erhalten, dass exzessive Überstunden regelmäßig die gesetzlichen Vorschriften brechen und dass auch Sonntagsarbeit keine Ausnahme darstellt.

Fast Fashion die modische, aber kalte Schulter zeigen

Bei allen oben genannten Modeunternehmen handelt es sich um Fast Fashion (schnelle Mode) Marken, die jährlich mehr als die früher üblichen 2 Kollektionen (Frühjahr/Sommer & Herbst/ Winter)zu günstigen Preisen in ihren Filialen anbieten.

Den wahren Preis dieser Mode zahlen jedoch die Arbeiter*innen in den Textilfabriken und zu guter Letzt, aufgrund der geringen Umweltauflagen an den Produktionsstandorten, auch unser gemeinsamer Planet.

Nicht staatliche Organisationen wie Femnet, Clean Clothes Campaign oder Fashion Revolution bieten Möglichkeiten, die betroffenen Textilarbeiter*innen in ihrem Kampf zu unterstützen und ihre Stimmen in unserer Konsumorientierten Welt hörbar zu machen.

Zusätzlich können wir Frauen helfen, indem wir Fast Fashion eine modische, aber kalte Schulter zeigen. Hier sind 4 Tipps, die helfen können, das Monster Fast Fashion in unserem Kleiderschrank zu besiegen.

1. Informiere Dich über das Modelabel. Ob sich Dein Lieblingslabel aktuell schon an hohen ethischen und nachhaltigen Standards ausrichtet, lässt sich durch Anfragen und Internetrecherchen leicht herausfinden.

2. Schätze Qualität mehr als Quantität. In Deutschland werden ca. 1 Million Tonnen Textilien jährlich weggeworfen; vieles landet davon einfach auf dem Müll und ist nicht recycelbar.

3. Kaufe und verkaufe Secondhand oder über Online-Tauschbörsen und reduziere damit die Anzahl der weggeworfenen Textilien.

4. Kaufe zertifizierte, faire Textilien von Unternehmen, die ihre Arbeiter*innen gesunde und sichere Arbeitsplatzbedingungen bieten, einen existenzsichernden Lohn zahlen, sowie auf Zwangs- und Kinderarbeit in ihrer Lieferkette ausschließen können.

Fast Fashion ist ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen und trotzdem entziehen sich die Verantwortlichen seit 1857 immer wieder ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Daher sind nun wir Frauen in der Pflicht uns zu solidarisieren und den Druck auf die Textilindustrie zu erhöhen, damit der wahre Preis eines Kleidungsstücks von uns im Laden und nicht von den Arbeiter*innen in den Produktionsstandorten bezahlt wird.